SMSlingshot
© VR/urban
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Von
Christian Zöllner
Physical Prototyping als
Entwurfspraxis
Seit 2012 leitet Christian Zöllner zusammen mit Sebastian Piatza das Design-und-Research-Studio The Constitute, welches sich als experimentelles Labor an der Schnittstelle zwischen Kunst, Design und Technologie versteht. Für agenda design wirft er einen persönlichen und zugleich analytischen Blick auf die Bedeutung des Experiments in seiner Arbeit und im Entwurf im Allgemeinen.
Der erste Versuch
Es begann 2008 mit dem Medienfassaden Festival in Berlin. Ich war zu diesem Zeitpunkt künstlerischer Mitarbeiter an der Universität der Künste (UDK). Tobias Fischer, ein Programmierer und damals Masterstudent am Fraunhofer Institut für virtuelle Produktentwicklung, schlug vor, gemeinsam eine Arbeit für einen Public Screen zu entwickeln. Wir waren uns schnell einig, auch darüber, dass wir keine Lust hatten, neuen künstlerischen Content zu erzeugen, der nur wieder betrachtet werden könnte. Wir wollten den Menschen vor dem öffentlichen Bildschirm die Möglichkeit geben, selbst Inhalte zu produzieren. Eine interaktive Installation sollte es werden. Hierfür entwickelten wir die Spread°gun, eine auf ein altes Ölfass geschraubte Sperrholzkanone, verbunden mit einem City Terminal. Dabei handelte es sich um von der Firma Wall betriebene Leuchtwerbekästen mit an der Seite integriertem Touchpad. Smartphones – man kann es sich heute kaum vorstellen – hatte noch fast niemand. Über das Touchpad konnte man eine Nachricht eintippen, in die Kanone laden, und dann gezielt in Form eines farbig-pixeligen Digitalkleckses auf die Fläche schießen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen und hat Lust auf mehr gemacht. Durch meinen Projektpartner habe ich gelernt, was Soft- und Hardware-Programmierung bedeutet und wie man damit in Entwurfsprozessen umgeht. Im Gegenzug hatte Tobias die Chance, als linear denkender Konstrukteur mit einem iterativ arbeitenden Entwerfer zusammenzuarbeiten. Motiviert durch die produktive Überschneidung unserer jeweiligen Expertisen gründeten wir das autonome Medienkollektiv VR/urban – ein Experiment auf sozialer, gestalterischer und technologischer Ebene.
Um als Team zusammenzufinden, war es wichtig, sich auf gemeinsame Werkzeuge zu einigen. Als Schnittstelle diente uns Arduino, eine offene und gut dokumentierte Hardwareplattform, die gerade aufkam. Arduino ist für codingfremde Designer schnell begreifbar und erlaubt ein iteratives Umsetzen physischer Benutzerschnittstellen. Interaktionen bleiben nicht mehr auf abstrakte bzw. rein virtuelle Flowcharts beschränkt, sondern können vom Entwerfer getestet und entwickelt werden. Programmierer können mit Arduino in die Tiefe gehen und das Werkzeug als Grundlage für komplexere Prototypen mit eigenem Platinenlayout nutzen. In unserem Team entstand so zudem eine gemeinsame Sprache: Pseudo-Code. „If ich press button, dann schalte Laser aus und sende Message to Computer und lösche Screeninhalt.“ So ungefähr habe ich als Designer versucht, mich in Programmiersprache zu verständigen. Parallel dazu tauschten wir offen angelegte Grafiken und Designs aus, an denen Tobias vieles über die Kriterien guter Gestaltung lernen konnte.
Aber das Experiment war noch nicht beendet, viele Aspekte der Spread°gun noch nicht zufriedenstellend bearbeitet. Der Abzug unserer Kanone war unter Belastung störanfällig, das City Terminal war nicht ständig verfügbar, zudem viel zu groß und schon damals veraltet. Auch das Ölfass als Basis erwies sich als nicht praktikabel. Als wir eine Anfrage erhielten, die Arbeit in Riga zu zeigen, stand schnell fest, dass wir das Projekt noch einmal neu denken mussten. Wir brauchten eine mobile Version, ohne Abhängigkeit von der Wall-Infrastruktur, mehr konzeptionelle Strenge und gestalterische Qualität. Und wir wollten die Guerilla-Qualitäten der Arbeit im öffentlichen Raum noch ernster nehmen. So entwickelten wir, basierend auf der Spread°gun-Softwarestruktur, ein neues, kleineres und mobileres Interaktionsgerät: die SMSlingshot – eine digital erweiterte Steinschleuder. Die Kreuzung aus Handy und Zwille erlaubt es, Kurznachrichten an Wände zu schießen. Das Spread°gun-Experiment, wenn auch nicht formal weitergeführt, war für die Entwicklung der SMSlingshot extrem wichtig. Wir wussten, wie sich das Schießen von Nachrichten anfühlt, kannten die nötige Softwarestruktur und hatten gelernt, Formen selbst per CNC-Fräse zu fertigen. Das alles haben wir jeweils weiterentwickelt, verbessert und beschleunigt. Zudem erweiterte sich das Team um Sebastian Piatza, der die SMSlingshot konstruktiv enorm vorangetrieben hat. Die Performance in Riga war ein Erfolg und hat uns ermutigt, weiterzumachen. Wir schrieben akademische Aufsätze über Tangible Design und analysierten die Interaktionsmuster von Menschen, die über Wände kommunizieren, haben unsere eigenen Experimente im öffentlichen Raum ausgewertet, abstrahiert und auf objektiven Erkenntnisgewinn hin untersucht. Aus aller Welt kamen jetzt Anfragen, die SMSlingshot zu zeigen.
Da wir nur zwei Prototypen hatten, mussten zügig neue SMSlingshots produziert werden. Mit der Funktionalität waren wir zufrieden, doch die formale Qualität wollten wir unbedingt noch verbessern. Sebastian und ich saßen nächtelang beisammen, zeichneten und bauten Modelle. Weil wir zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kamen, änderten wir den Entwurfsprozess. Anstatt von der Zeichnung über das Modell zum digitalen Entwurf und dann zum seriellen Objekt zu kommen, wollten wir wilder, experimenteller und ergebnisoffener arbeiten. Sebastian fuhr in den Wald und kam mit einer Kiste voll Astgabeln wieder, die wir mit einem 3-D-Scanner digitalisierten. Mit einem Modellierungsprogramm modifizierten wir die Astgabel-Dateien so, dass alle technischen Komponenten, die parallel weiterentwickelt wurden, hineinpassten. Die zweigeteilte Form wurde dann mit einer CNC-Fräse aus Schichtholz gefertigt und sah klasse aus – so unvorhergesehen und rau, so überhaupt nicht konstruktiv und ästhetisiert gestaltet. Diese Erfahrung hat uns motiviert, bei künftigen Projekten wagemutiger und experimenteller im Entwurfsprozess zu sein.
Ab 2009 haben wir die SMSlingshot als VR/urban weltweit ausgestellt, unter anderem 2011 im MoMA im Rahmen der Ausstellung Talk to Me. 2013 haben wir sogar eine arabische Version entwickelt. Dennoch: Das Experiment „autonomes Kollektiv“ hat sich trotz großem Einsatz nicht durchsetzen können. Wir bekamen Kinder, wurden Doktoranden oder in Vollzeit als Softwareentwickler angestellt. So konnten wir die SMSlingshot zwar noch als Installation fortführen, aber nichts Neues mehr entwickeln. Als explizit unkommerzielles Projekt blieb die SMSlingshot chronisch unterfinanziert. Um auch an kommerziellen Projekten arbeiten zu können, gründeten Sebastian Piatza und ich 2012 The Constitute als offenes und experimentelles Designstudio.
Ready to Cloud
© The Constitute
Ready to Cloud
© The Constitute
Ready to Cloud
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The Constitute
has landed
Mit Schwung starteten wir endlich wieder in eine produktive Phase mit mehreren neuen Projekten. Das wohl experimentellste, und deswegen hier vorgestellte, ist der Wolkenteleporter Ready to Cloud. Wir wollten eigene Hologramme haben, so wie im Science-Fiction-Film, und Teleportation, wie bei Star Trek. Erneut war es das Ziel, unser Projekt für möglichst viele Leute zugänglich zu machen, und zwar als holographisches Display- und Kommunikationssystem für halböffentliche Räume.
Im Innenhof unseres Berliner Studios entwickelten wir unseren ersten Holographie-Prototypen aus Nebelmaschinen, Schläuchen, Projektoren und Kameras. Es gelang uns, eine als Wireframe dargestellte Person auf eine stabil stehende Nebelwolke zu projizieren. Der Architekt, Designforscher und Projektleiter Stefano Mirti aus Mailand, dem wir eine erste, noch sehr ungeschliffene Dokumentation unserer Experimente zeigen konnten, beauftragte uns, das Projekt weiterzuentwickeln und im Rahmen der Mailänder Möbelmesse für die Telecom Italia zu inszenieren. Das war ein erster Erfolg für uns als junges Studio. Um weiterarbeiten zu können, mussten wir unser Projekt besser strukturieren. Wir erweiterten das Team um einen Motiondesigner, einen Dokumentarfilmer und, ganz wichtig, einen Programmierer: Julian Adenauer. Die Erfahrung mit der SMSlingshot erleichterte die interdisziplinäre Arbeit. Um auf der ästhetischen Ebene einen gemeinsamen Nenner zu finden, recherchierten wir futuristische Darstellungsformen von Hologrammen und Teleportation in Science-Fiction-Filmen.
Wir bauten verschiedene Wolkengeneratoren, experimentierten mit Nebelfluiden und 3-D-Kamerasystemen und dokumentierten nahezu jeden Schritt des Projekts. Alles entwickelte sich harmonisch, bis sich mitten im Prozess herausstellte, dass unsere Wolke – der konzepttragende Teil des Projekts – bei Wind nicht im Außenbereich würde bestehen können. Unser Hinterhof war gut geschützt gewesen und die Nacht unseres Experiments mild und günstig. In Mailand war alles anders. Als wir zum ersten Testen vor Ort eintrafen, gab es bereits kein Zurück mehr, alles war gebucht, und wir, als unerfahrene Projektleiter, hatten nicht den Mut zu sagen, dass wir nur in einem geschlossenen, gut durchlüftbaren Raum zu guten Ergebnissen kommen würden.
Nach dem Motto „the show must go on“ arbeiteten wird weiter, doch die Tage in Mailand wurden zum Desaster. Die Nebelwolke verzog sich immer wieder und selbst die Internetverbindung war instabil, so dass die Verbindung zur zweiten Wolke am anderen Ende der Stadt oft abbrach. Selbst diese andere Wolke war schließlich nur noch eine Wandprojektion, weil sich kein geeigneter Ort fand. Zudem war entgegen vorheriger Absprachen alles mit den Logos des Sponsors gebrandet. Wir waren die gesamten zehn Tage vor Ort angespannt und erschöpft. Jeder Tag ein neuer Versuch, irgendwie die Wolke zu stabilisieren. In Italien, mitten in der Messewoche. Nichts wurde wirklich besser, nur teurer. Wir waren beschämt und erleichtert, als wir endlich abreisen konnten.
Die Lektion aus diesem epic fail: Wir haben uns an vielen Punkten im Prozess verschätzt, vor allem bezüglich unserer eigenen Professionalität. Unser punkiger „Hey! Ho! Let’s go“-Ansatz stieß im kommerziellen Kontext schnell an seine Grenzen. Zudem waren Budget und Entwicklungszeit viel zu knapp kalkuliert. Für einen roughen Prototypen war unsere Methode ausreichend, nicht aber für die stabile, interaktive, öffentliche Installation einer so neuartigen Technik. Hierfür braucht es verschiedene Testphasen, nicht nur im Studio sondern auch vor Ort. Das haben wir unterschätzt.
Trotz dieses ersten Rückschlags arbeiteten wir weiter und konnten die Wolke unter anderem im Rahmen des Connecting-Cities-Netzwerks noch einmal zeigen, diesmal als telepräsenten Kommunikationskanal zwischen dem Bauhaus in Dessau und dem Kunstzentrum FACT in Liverpool. Wir entwickelten neue Wolkengeneratoren, verbesserten die Interaktion, gestalteten die holographischen Avatare neu und fügten Sound hinzu. Wir testeten die Generatoren vor Ort und stellten die Nebelmaschinensteuerung sehr präzise ein. Obwohl auch an den neuen Orten noch nicht alles perfekt lief, konnten nun Menschen aus Dessau und Liverpool über die Wolke in Echtzeit als Hologramme
gestisch miteinander kommunizieren. Technisch und gestalterisch hatten wir mit dem Projekt endlich ein gutes Ergebnis erzielt, welches zu unserer Freude 2014 mit dem Art of Engineering Award ausgezeichnet wurde.
Hardware Hacking, Gadgets
© The Constitute
Hardware Hacking, Gadgets
© The Constitute
Christian Zöllner und seine Kollegen geben regelmäßig Hochschulkurse, in denen die Studierenden den kreativen Umgang mit Arduino als Schnittstelle für unterschiedlichste Sensoren und Aktoren erlernen. Die Beispiele hier stammen aus einem Kurs an der HTW in Dresden.
Die mit Licht- und Feuchtigkeitssensoren ausgestatteten Handschuhe wandeln Begrüßungsgesten und Berührungen in Klänge um, die per Servomotor physisch erzeugt werden. Die Brille nimmt über Lichtsensoren ihre Umgebung wahr und verfügt über eine künstliche Iris, die sich wie beim natürlichen Vorbild weitet, wenn sich das Sichtfeld verdunkelt.
Das Experiment
in der Lehre
Neben den eigenen Projekten mit VR/urban und The Constitute war und bin ich parallel immer wieder in der akademischen Lehre aktiv, so z. B. als künstlerischer Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin und als Gastprofessor an der Burg Giebichenstein Halle. Dabei beeinflussen sich die Erfahrungen und Themen aus Praxis und Hochschule gegenseitig. Das Experimentieren war und ist stets ein zentraler Bestandteil der Lehre. Über das Ausprobieren der erlernten Fähigkeiten und Werkzeuge lernen die Studierenden, ihre Ideen ästhetisch zu formulieren. Erst in einem sich ständig wiederholenden Vorstellungs- und Darstellungskreislauf entwickelt sich ein tieferes Form- und Funktionsverständnis. Jedoch nicht automatisch, denn das Arbeiten in Iterationsschleifen als Grundprinzip des Experimentierens muss erlernt werden.
Leider fällt auf, dass das Experiment fälschlicherweise oft mit freiem, ziellosem und unreflektiertem Herumprobieren gleichgesetzt wird – als stünde es im Gegensatz zu konzentriertem Arbeiten. Für ein gelungenes Experiment bedarf es jedoch eines spekulativen Vorvollzugs, also eines imaginierten Ziels und eines dahin führenden Weges. Dieser zuerst rein gedankliche Prozess muss sich dann Stück für Stück unter realen Bedingungen bewähren. Wichtig ist dabei, die während des Tuns auftauchenden Unwegsamkeiten nicht ausschließlich als Fehler und Rückschläge wahrzunehmen, sondern als integrative Bestandteile des Erkenntnisprozesses. Denn was gedacht werden kann, muss nicht zwangsläufig auch machbar sein. So entstehen neue Machbarkeiten, Möglichkeitsräume und Seitenprojekte. Sowohl in der Lehre als auch in der angewandten, praktischen Arbeit muss diesen produktiven Abzweigungen in neue Themenfelder und Anwendungen Raum zur Entfaltung gegeben werden.
In Entwurfsexperimenten mit Studierenden sollte der Versuchsaufbau gründlich, aber nicht zu streng sein. Er muss Spiel haben: Raum für Interpretation und Unschärfe sowie für die ludisch-hedonische Qualität der Arbeit. Denn das experimentelle Vorgehen bedeutet gerade für unerfahrene Gestalter oft Rückschlag und Enttäuschung. Wenn bei diesem konzentrierten, zielgerichteten Probieren nicht auch spielerische Freude integraler Teil des Prozesses ist, kann die Lust am Experiment schnell schwinden und dadurch der Erkenntnisgewinn geschmälert werden. Und um den geht es. Möglichst gut gelaunt und effizient eine Vielzahl divergenter Lösungsansätze zu generieren und im Austausch mit Kommilitonen und Lehrenden diese unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Konvergenz auszuwählen und anschließend umzusetzen.
Ein Beispiel: Im Wintersemester 2009 haben mein Kollege Wilm Fuchs und ich an der Universität der Künste ein Grundlagenprojekt zu Rapid Prototyping angeboten. Die Studierenden sollten sich mittels eines eigenen, niederkomplexen Entwurfes mit der hauseigenen 5-Achs-CNC-Fräse auseinandersetzen. Um die normalerweise sehr formalisiert-schematische Herangehensweise an die komplexe Maschine aufzubrechen, sind wir mit einem spielerischen und unkonventionellen Ansatz gestartet. Um den Studierenden die Funktionalität eines per Computer auf fünf Achsen steuerbaren Werkzeugs zu vermitteln, haben wir ihnen die Aufgabe gestellt, regelmäßige Muster in Kunststoffpapierkörbe zu fräsen. Hierfür mussten sie den Umgang mit der CAD-Software Rhino und der CAM-Software Cimatron, mit der die Fräse angesteuert wird, erlernen. Auf Entwurfsebene mussten sie die Fähigkeit entwickeln, sich wiederholende Muster auf einem Konus abzubilden. Die am Computer kreierten Tesselierungen wurden im ersten Schritt als Papierbögen umgesetzt, um formale Ergebnisse bereits ohne die komplexe Fräsenansteuerung überprüfbar zu machen. Es galt, den Entwurf möglichst früh aus dem Computer heraus und in die Welt zu holen. Händisches Zeichnen auf den Plänen sowie die Rückübertragung in die Software waren weitere wichtige Bestandteile des Entwurfsprozesses. Skalierungsunschärfen konnten so überprüft und bei der Überarbeitung der Designs berücksichtigt werden. Die Papierprototypen als vorläufiges Entwurfsergebnis dienten zudem als gemeinsame Diskussionsgrundlage. Die Steuerung der Fräse haben wir gegenüber der formalen Entwicklung hintangestellt, um den Studierenden eine motivierende Lernkurve zu ermöglichen. Im professionellen Kontext sollten diese Bereiche hingegen eng gekoppelt sein, um fertigungsbedingte Innovationen zu forcieren.
Mit seinem Gestus der koordinierten Zerstörung hat das Befräsen der Papierkörbe den Studierenden viel Freude bereitet und zu weiterem Erkenntnisgewinn geführt. Entwürfe, die am Bildschirm und in den Papierumwicklungen interessant aussahen, erwiesen sich als instabil. Auch wenn dies für uns als Betreuer bereits vorab ersichtlich war, haben wir den Studierenden diesen für die Überarbeitung wichtigen Erkenntnisprozess nicht abgenommen. Im weiteren Semesterverlauf wurden die angeeigneten Fertigkeiten an der CNC-Fräse dann genutzt, um komplexere, zweigeteilte Gießformen für Sitzauflagen aus Schaum zu realisieren, die dann auf unbearbeitete, umgedrehte Papierkörbe aufgesetzt werden konnten.
Entwerfen ist Experimentieren. Zu einem signifikanten Teil. Ohne systematische Iterationsstufen und einen auf Rückkopplung beruhenden Entwicklungsprozess ist kein gestalterischer Erkenntnisgewinn möglich. Unschärfen durch geringe Detaildichte in Modellen, Fehler durch unsaubere Versuchsaufbauten sowie die eigene Fantasie und Spielfreude sind Schlüsselfaktoren für den erfolgreichen Entwurf. Es sind die vermeintlichen Irrwege und Rückschläge, die zu neuen Lösungsansätzen führen und die spannendsten Geschichten hinter jedem Entwurf ausmachen.
Christian Zöllner hat Produktgestaltung in Dresden studiert. In seiner Diplomarbeit entwickelte er gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut Berlin Werkzeuge zum räumlichen Zeichnen in virtuellen Umgebungen. Von 2008 bis 2014 lehrte er als künstlerischer Mitarbeiter an der UDK Berlin im Bereich Experimentelles Entwerfen.
Neben der Veröffentlichung zahlreicher Fachtexte hält Zöllner international Vorträge und Workshops zu Design, Designforschung, narrativem Entwerfen und Rapid Prototyping. 2014 war er Gastprofessor für Design Fiction and Speculative Artefacts an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
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Physical Prototyping als
Entwurfspraxis
Seit 2012 leitet Christian Zöllner zusammen mit Sebastian Piatza das Design-und-Research-Studio The Constitute, welches sich als experimentelles Labor an der Schnittstelle zwischen Kunst, Design und Technologie versteht. Für agenda design wirft er einen persönlichen und zugleich analytischen Blick auf die Bedeutung des Experiments in seiner Arbeit und im Entwurf im Allgemeinen.
Der erste Versuch
Es begann 2008 mit dem Medienfassaden Festival in Berlin. Ich war zu diesem Zeitpunkt künstlerischer Mitarbeiter an der Universität der Künste (UDK). Tobias Fischer, ein Programmierer und damals Masterstudent am Fraunhofer Institut für virtuelle Produktentwicklung, schlug vor, gemeinsam eine Arbeit für einen Public Screen zu entwickeln. Wir waren uns schnell einig, auch darüber, dass wir keine Lust hatten, neuen künstlerischen Content zu erzeugen, der nur wieder betrachtet werden könnte. Wir wollten den Menschen vor dem öffentlichen Bildschirm die Möglichkeit geben, selbst Inhalte zu produzieren. Eine interaktive Installation sollte es werden. Hierfür entwickelten wir die Spread°gun, eine auf ein altes Ölfass geschraubte Sperrholzkanone, verbunden mit einem City Terminal. Dabei handelte es sich um von der Firma Wall betriebene Leuchtwerbekästen mit an der Seite integriertem Touchpad. Smartphones – man kann es sich heute kaum vorstellen – hatte noch fast niemand. Über das Touchpad konnte man eine Nachricht eintippen, in die Kanone laden, und dann gezielt in Form eines farbig-pixeligen Digitalkleckses auf die Fläche schießen. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen und hat Lust auf mehr gemacht. Durch meinen Projektpartner habe ich gelernt, was Soft- und Hardware-Programmierung bedeutet und wie man damit in Entwurfsprozessen umgeht. Im Gegenzug hatte Tobias die Chance, als linear denkender Konstrukteur mit einem iterativ arbeitenden Entwerfer zusammenzuarbeiten. Motiviert durch die produktive Überschneidung unserer jeweiligen Expertisen gründeten wir das autonome Medienkollektiv VR/urban – ein Experiment auf sozialer, gestalterischer und technologischer Ebene.
Um als Team zusammenzufinden, war es wichtig, sich auf gemeinsame Werkzeuge zu einigen. Als Schnittstelle diente uns Arduino, eine offene und gut dokumentierte Hardwareplattform, die gerade aufkam. Arduino ist für codingfremde Designer schnell begreifbar und erlaubt ein iteratives Umsetzen physischer Benutzerschnittstellen. Interaktionen bleiben nicht mehr auf abstrakte bzw. rein virtuelle Flowcharts beschränkt, sondern können vom Entwerfer getestet und entwickelt werden. Programmierer können mit Arduino in die Tiefe gehen und das Werkzeug als Grundlage für komplexere Prototypen mit eigenem Platinenlayout nutzen. In unserem Team entstand so zudem eine gemeinsame Sprache: Pseudo-Code. „If ich press button, dann schalte Laser aus und sende Message to Computer und lösche Screeninhalt.“ So ungefähr habe ich als Designer versucht, mich in Programmiersprache zu verständigen. Parallel dazu tauschten wir offen angelegte Grafiken und Designs aus, an denen Tobias vieles über die Kriterien guter Gestaltung lernen konnte.
Aber das Experiment war noch nicht beendet, viele Aspekte der Spread°gun noch nicht zufriedenstellend bearbeitet. Der Abzug unserer Kanone war unter Belastung störanfällig, das City Terminal war nicht ständig verfügbar, zudem viel zu groß und schon damals veraltet. Auch das Ölfass als Basis erwies sich als nicht praktikabel. Als wir eine Anfrage erhielten, die Arbeit in Riga zu zeigen, stand schnell fest, dass wir das Projekt noch einmal neu denken mussten. Wir brauchten eine mobile Version, ohne Abhängigkeit von der Wall-Infrastruktur, mehr konzeptionelle Strenge und gestalterische Qualität. Und wir wollten die Guerilla-Qualitäten der Arbeit im öffentlichen Raum noch ernster nehmen. So entwickelten wir, basierend auf der Spread°gun-Softwarestruktur, ein neues, kleineres und mobileres Interaktionsgerät: die SMSlingshot – eine digital erweiterte Steinschleuder. Die Kreuzung aus Handy und Zwille erlaubt es, Kurznachrichten an Wände zu schießen. Das Spread°gun-Experiment, wenn auch nicht formal weitergeführt, war für die Entwicklung der SMSlingshot extrem wichtig. Wir wussten, wie sich das Schießen von Nachrichten anfühlt, kannten die nötige Softwarestruktur und hatten gelernt, Formen selbst per CNC-Fräse zu fertigen. Das alles haben wir jeweils weiterentwickelt, verbessert und beschleunigt. Zudem erweiterte sich das Team um Sebastian Piatza, der die SMSlingshot konstruktiv enorm vorangetrieben hat. Die Performance in Riga war ein Erfolg und hat uns ermutigt, weiterzumachen. Wir schrieben akademische Aufsätze über Tangible Design und analysierten die Interaktionsmuster von Menschen, die über Wände kommunizieren, haben unsere eigenen Experimente im öffentlichen Raum ausgewertet, abstrahiert und auf objektiven Erkenntnisgewinn hin untersucht. Aus aller Welt kamen jetzt Anfragen, die SMSlingshot zu zeigen.
Da wir nur zwei Prototypen hatten, mussten zügig neue SMSlingshots produziert werden. Mit der Funktionalität waren wir zufrieden, doch die formale Qualität wollten wir unbedingt noch verbessern. Sebastian und ich saßen nächtelang beisammen, zeichneten und bauten Modelle. Weil wir zu keinem zufriedenstellenden Ergebnis kamen, änderten wir den Entwurfsprozess. Anstatt von der Zeichnung über das Modell zum digitalen Entwurf und dann zum seriellen Objekt zu kommen, wollten wir wilder, experimenteller und ergebnisoffener arbeiten. Sebastian fuhr in den Wald und kam mit einer Kiste voll Astgabeln wieder, die wir mit einem 3-D-Scanner digitalisierten. Mit einem Modellierungsprogramm modifizierten wir die Astgabel-Dateien so, dass alle technischen Komponenten, die parallel weiterentwickelt wurden, hineinpassten. Die zweigeteilte Form wurde dann mit einer CNC-Fräse aus Schichtholz gefertigt und sah klasse aus – so unvorhergesehen und rau, so überhaupt nicht konstruktiv und ästhetisiert gestaltet. Diese Erfahrung hat uns motiviert, bei künftigen Projekten wagemutiger und experimenteller im Entwurfsprozess zu sein.
Ab 2009 haben wir die SMSlingshot als VR/urban weltweit ausgestellt, unter anderem 2011 im MoMA im Rahmen der Ausstellung Talk to Me. 2013 haben wir sogar eine arabische Version entwickelt. Dennoch: Das Experiment „autonomes Kollektiv“ hat sich trotz großem Einsatz nicht durchsetzen können. Wir bekamen Kinder, wurden Doktoranden oder in Vollzeit als Softwareentwickler angestellt. So konnten wir die SMSlingshot zwar noch als Installation fortführen, aber nichts Neues mehr entwickeln. Als explizit unkommerzielles Projekt blieb die SMSlingshot chronisch unterfinanziert. Um auch an kommerziellen Projekten arbeiten zu können, gründeten Sebastian Piatza und ich 2012 The Constitute als offenes und experimentelles Designstudio.
Ready to Cloud
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Mit Schwung starteten wir endlich wieder in eine produktive Phase mit mehreren neuen Projekten. Das wohl experimentellste, und deswegen hier vorgestellte, ist der Wolkenteleporter Ready to Cloud. Wir wollten eigene Hologramme haben, so wie im Science-Fiction-Film, und Teleportation, wie bei Star Trek. Erneut war es das Ziel, unser Projekt für möglichst viele Leute zugänglich zu machen, und zwar als holographisches Display- und Kommunikationssystem für halböffentliche Räume.
Im Innenhof unseres Berliner Studios entwickelten wir unseren ersten Holographie-Prototypen aus Nebelmaschinen, Schläuchen, Projektoren und Kameras. Es gelang uns, eine als Wireframe dargestellte Person auf eine stabil stehende Nebelwolke zu projizieren. Der Architekt, Designforscher und Projektleiter Stefano Mirti aus Mailand, dem wir eine erste, noch sehr ungeschliffene Dokumentation unserer Experimente zeigen konnten, beauftragte uns, das Projekt weiterzuentwickeln und im Rahmen der Mailänder Möbelmesse für die Telecom Italia zu inszenieren. Das war ein erster Erfolg für uns als junges Studio. Um weiterarbeiten zu können, mussten wir unser Projekt besser strukturieren. Wir erweiterten das Team um einen Motiondesigner, einen Dokumentarfilmer und, ganz wichtig, einen Programmierer: Julian Adenauer. Die Erfahrung mit der SMSlingshot erleichterte die interdisziplinäre Arbeit. Um auf der ästhetischen Ebene einen gemeinsamen Nenner zu finden, recherchierten wir futuristische Darstellungsformen von Hologrammen und Teleportation in Science-Fiction-Filmen.
Wir bauten verschiedene Wolkengeneratoren, experimentierten mit Nebelfluiden und 3-D-Kamerasystemen und dokumentierten nahezu jeden Schritt des Projekts. Alles entwickelte sich harmonisch, bis sich mitten im Prozess herausstellte, dass unsere Wolke – der konzepttragende Teil des Projekts – bei Wind nicht im Außenbereich würde bestehen können. Unser Hinterhof war gut geschützt gewesen und die Nacht unseres Experiments mild und günstig. In Mailand war alles anders. Als wir zum ersten Testen vor Ort eintrafen, gab es bereits kein Zurück mehr, alles war gebucht, und wir, als unerfahrene Projektleiter, hatten nicht den Mut zu sagen, dass wir nur in einem geschlossenen, gut durchlüftbaren Raum zu guten Ergebnissen kommen würden.
Nach dem Motto „the show must go on“ arbeiteten wird weiter, doch die Tage in Mailand wurden zum Desaster. Die Nebelwolke verzog sich immer wieder und selbst die Internetverbindung war instabil, so dass die Verbindung zur zweiten Wolke am anderen Ende der Stadt oft abbrach. Selbst diese andere Wolke war schließlich nur noch eine Wandprojektion, weil sich kein geeigneter Ort fand. Zudem war entgegen vorheriger Absprachen alles mit den Logos des Sponsors gebrandet. Wir waren die gesamten zehn Tage vor Ort angespannt und erschöpft. Jeder Tag ein neuer Versuch, irgendwie die Wolke zu stabilisieren. In Italien, mitten in der Messewoche. Nichts wurde wirklich besser, nur teurer. Wir waren beschämt und erleichtert, als wir endlich abreisen konnten.
Die Lektion aus diesem epic fail: Wir haben uns an vielen Punkten im Prozess verschätzt, vor allem bezüglich unserer eigenen Professionalität. Unser punkiger „Hey! Ho! Let’s go“-Ansatz stieß im kommerziellen Kontext schnell an seine Grenzen. Zudem waren Budget und Entwicklungszeit viel zu knapp kalkuliert. Für einen roughen Prototypen war unsere Methode ausreichend, nicht aber für die stabile, interaktive, öffentliche Installation einer so neuartigen Technik. Hierfür braucht es verschiedene Testphasen, nicht nur im Studio sondern auch vor Ort. Das haben wir unterschätzt.
Trotz dieses ersten Rückschlags arbeiteten wir weiter und konnten die Wolke unter anderem im Rahmen des Connecting-Cities-Netzwerks noch einmal zeigen, diesmal als telepräsenten Kommunikationskanal zwischen dem Bauhaus in Dessau und dem Kunstzentrum FACT in Liverpool. Wir entwickelten neue Wolkengeneratoren, verbesserten die Interaktion, gestalteten die holographischen Avatare neu und fügten Sound hinzu. Wir testeten die Generatoren vor Ort und stellten die Nebelmaschinensteuerung sehr präzise ein. Obwohl auch an den neuen Orten noch nicht alles perfekt lief, konnten nun Menschen aus Dessau und Liverpool über die Wolke in Echtzeit als Hologramme
gestisch miteinander kommunizieren. Technisch und gestalterisch hatten wir mit dem Projekt endlich ein gutes Ergebnis erzielt, welches zu unserer Freude 2014 mit dem Art of Engineering Award ausgezeichnet wurde.
Hardware Hacking, Gadgets
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Hardware Hacking, Gadgets
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Christian Zöllner und seine Kollegen geben regelmäßig Hochschulkurse, in denen die Studierenden den kreativen Umgang mit Arduino als Schnittstelle für unterschiedlichste Sensoren und Aktoren erlernen. Die Beispiele hier stammen aus einem Kurs an der HTW in Dresden.
Die mit Licht- und Feuchtigkeitssensoren ausgestatteten Handschuhe wandeln Begrüßungsgesten und Berührungen in Klänge um, die per Servomotor physisch erzeugt werden. Die Brille nimmt über Lichtsensoren ihre Umgebung wahr und verfügt über eine künstliche Iris, die sich wie beim natürlichen Vorbild weitet, wenn sich das Sichtfeld verdunkelt.
Das Experiment
in der Lehre
Neben den eigenen Projekten mit VR/urban und The Constitute war und bin ich parallel immer wieder in der akademischen Lehre aktiv, so z. B. als künstlerischer Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin und als Gastprofessor an der Burg Giebichenstein Halle. Dabei beeinflussen sich die Erfahrungen und Themen aus Praxis und Hochschule gegenseitig. Das Experimentieren war und ist stets ein zentraler Bestandteil der Lehre. Über das Ausprobieren der erlernten Fähigkeiten und Werkzeuge lernen die Studierenden, ihre Ideen ästhetisch zu formulieren. Erst in einem sich ständig wiederholenden Vorstellungs- und Darstellungskreislauf entwickelt sich ein tieferes Form- und Funktionsverständnis. Jedoch nicht automatisch, denn das Arbeiten in Iterationsschleifen als Grundprinzip des Experimentierens muss erlernt werden.
Leider fällt auf, dass das Experiment fälschlicherweise oft mit freiem, ziellosem und unreflektiertem Herumprobieren gleichgesetzt wird – als stünde es im Gegensatz zu konzentriertem Arbeiten. Für ein gelungenes Experiment bedarf es jedoch eines spekulativen Vorvollzugs, also eines imaginierten Ziels und eines dahin führenden Weges. Dieser zuerst rein gedankliche Prozess muss sich dann Stück für Stück unter realen Bedingungen bewähren. Wichtig ist dabei, die während des Tuns auftauchenden Unwegsamkeiten nicht ausschließlich als Fehler und Rückschläge wahrzunehmen, sondern als integrative Bestandteile des Erkenntnisprozesses. Denn was gedacht werden kann, muss nicht zwangsläufig auch machbar sein. So entstehen neue Machbarkeiten, Möglichkeitsräume und Seitenprojekte. Sowohl in der Lehre als auch in der angewandten, praktischen Arbeit muss diesen produktiven Abzweigungen in neue Themenfelder und Anwendungen Raum zur Entfaltung gegeben werden.
In Entwurfsexperimenten mit Studierenden sollte der Versuchsaufbau gründlich, aber nicht zu streng sein. Er muss Spiel haben: Raum für Interpretation und Unschärfe sowie für die ludisch-hedonische Qualität der Arbeit. Denn das experimentelle Vorgehen bedeutet gerade für unerfahrene Gestalter oft Rückschlag und Enttäuschung. Wenn bei diesem konzentrierten, zielgerichteten Probieren nicht auch spielerische Freude integraler Teil des Prozesses ist, kann die Lust am Experiment schnell schwinden und dadurch der Erkenntnisgewinn geschmälert werden. Und um den geht es. Möglichst gut gelaunt und effizient eine Vielzahl divergenter Lösungsansätze zu generieren und im Austausch mit Kommilitonen und Lehrenden diese unter dem Gesichtspunkt größtmöglicher Konvergenz auszuwählen und anschließend umzusetzen.
Ein Beispiel: Im Wintersemester 2009 haben mein Kollege Wilm Fuchs und ich an der Universität der Künste ein Grundlagenprojekt zu Rapid Prototyping angeboten. Die Studierenden sollten sich mittels eines eigenen, niederkomplexen Entwurfes mit der hauseigenen 5-Achs-CNC-Fräse auseinandersetzen. Um die normalerweise sehr formalisiert-schematische Herangehensweise an die komplexe Maschine aufzubrechen, sind wir mit einem spielerischen und unkonventionellen Ansatz gestartet. Um den Studierenden die Funktionalität eines per Computer auf fünf Achsen steuerbaren Werkzeugs zu vermitteln, haben wir ihnen die Aufgabe gestellt, regelmäßige Muster in Kunststoffpapierkörbe zu fräsen. Hierfür mussten sie den Umgang mit der CAD-Software Rhino und der CAM-Software Cimatron, mit der die Fräse angesteuert wird, erlernen. Auf Entwurfsebene mussten sie die Fähigkeit entwickeln, sich wiederholende Muster auf einem Konus abzubilden. Die am Computer kreierten Tesselierungen wurden im ersten Schritt als Papierbögen umgesetzt, um formale Ergebnisse bereits ohne die komplexe Fräsenansteuerung überprüfbar zu machen. Es galt, den Entwurf möglichst früh aus dem Computer heraus und in die Welt zu holen. Händisches Zeichnen auf den Plänen sowie die Rückübertragung in die Software waren weitere wichtige Bestandteile des Entwurfsprozesses. Skalierungsunschärfen konnten so überprüft und bei der Überarbeitung der Designs berücksichtigt werden. Die Papierprototypen als vorläufiges Entwurfsergebnis dienten zudem als gemeinsame Diskussionsgrundlage. Die Steuerung der Fräse haben wir gegenüber der formalen Entwicklung hintangestellt, um den Studierenden eine motivierende Lernkurve zu ermöglichen. Im professionellen Kontext sollten diese Bereiche hingegen eng gekoppelt sein, um fertigungsbedingte Innovationen zu forcieren.
Mit seinem Gestus der koordinierten Zerstörung hat das Befräsen der Papierkörbe den Studierenden viel Freude bereitet und zu weiterem Erkenntnisgewinn geführt. Entwürfe, die am Bildschirm und in den Papierumwicklungen interessant aussahen, erwiesen sich als instabil. Auch wenn dies für uns als Betreuer bereits vorab ersichtlich war, haben wir den Studierenden diesen für die Überarbeitung wichtigen Erkenntnisprozess nicht abgenommen. Im weiteren Semesterverlauf wurden die angeeigneten Fertigkeiten an der CNC-Fräse dann genutzt, um komplexere, zweigeteilte Gießformen für Sitzauflagen aus Schaum zu realisieren, die dann auf unbearbeitete, umgedrehte Papierkörbe aufgesetzt werden konnten.
Entwerfen ist Experimentieren. Zu einem signifikanten Teil. Ohne systematische Iterationsstufen und einen auf Rückkopplung beruhenden Entwicklungsprozess ist kein gestalterischer Erkenntnisgewinn möglich. Unschärfen durch geringe Detaildichte in Modellen, Fehler durch unsaubere Versuchsaufbauten sowie die eigene Fantasie und Spielfreude sind Schlüsselfaktoren für den erfolgreichen Entwurf. Es sind die vermeintlichen Irrwege und Rückschläge, die zu neuen Lösungsansätzen führen und die spannendsten Geschichten hinter jedem Entwurf ausmachen.
Christian Zöllner hat Produktgestaltung in Dresden studiert. In seiner Diplomarbeit entwickelte er gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut Berlin Werkzeuge zum räumlichen Zeichnen in virtuellen Umgebungen. Von 2008 bis 2014 lehrte er als künstlerischer Mitarbeiter an der UDK Berlin im Bereich Experimentelles Entwerfen.
Neben der Veröffentlichung zahlreicher Fachtexte hält Zöllner international Vorträge und Workshops zu Design, Designforschung, narrativem Entwerfen und Rapid Prototyping. 2014 war er Gastprofessor für Design Fiction and Speculative Artefacts an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle.
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