VonFlorian Alexander
Schmidt
Wie Crowd Design zur Quelle für Wegwerfidentitäten wurdeJedes Logo erhebt Anspruch auf Einzigartigkeit. Es wurde entworfen als unverwechselbarer Ausdruck der Identität, auf die es verweist. Institutionen auf den Leib geschneidert von professionellen Designern, im Zuge eines hochindividuellen und vertrauensvollen Beratungsprozesses, der mit dem Logo weder anfängt noch aufhört. Für die Kunden eine langfristige, strategische Investition in das Erscheinungsbild als Schnittstelle zur Außenwelt. So das Ideal …
… und für hochwertige Unternehmen und Marken ist es von ungebrochener Gültigkeit. Doch durch die wachsende Bedeutung von Crowdsourcing-Plattformen für Design werden die etablierten Qualitätsstandards seit einigen Jahren ganz grundsätzlich infrage gestellt. Denn hier geht es um Massenabfertigung zum Discountpreis. Der Glaube an eine einzigartige Identität von Designer, Auftraggeber und Entwurf ist mit dem Prinzip der Crowd nicht vereinbar. Anlass, sich das Phänomen genauer anzuschauen.
Wer schon mal auf einem Rockkonzert, im Fußballstadion oder auf einer brenzligen Demonstration war, kennt die zutiefst körperliche Erfahrung, Teil einer Masse zu werden. Als Individuum verliert man an Kontrolle, während die Menge an Stärke gewinnt. Eine Kraft, die sich durch Sprechchöre und ähnliche Rituale noch steigern lässt und zu Euphorie und Allmachtgefühlen ebenso wie zu blanker Panik beim Individuum und der Masse als Ganzes führen kann. Stimmungen übertragen sich wie ein Lauffeuer. Man verliert den Überblick, macht seine Handlungen intuitiv von der unmittelbaren Umgebung abhängig und agiert nur noch eingeschränkt rational. Die Masse, so scheint es, entwickelt ihren eigenen Willen, ihre eigene Identität. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Crowd erstmals zum Forschungsobjekt. In Frankreich begründete Gustave Le Bon das Forschungsfeld der Massenpsychologie. Aus kriminologischer und politischer Perspektive begann man damit, die als bedrohlich wahrgenommene, unbändige Kraft der Massen zu untersuchen. Man war fasziniert von der animalischen, zerstörerischen Kraft der Crowd. Ihr wurde ein eigener primitiver Wille zugeschrieben und zugleich jegliche Vernunft abgesprochen. Man wollte sie verstehen, um sie zu kontrollieren.
Die prototypische CrowdDie wohl wichtigste Eigenschaft der Crowd ist ihre Offenheit in alle Richtungen. Jeder Mensch kann spontan Teil der Crowd werden – ohne Ansehen der Person, ohne Qualifikation. Identität spielt keine Rolle, denn in der Crowd ist jeder gleich. Die Crowd kennt keine Einstiegsbarrieren und Obergrenzen. Sie kann sehr schnell zu großer Zahl anschwellen und sich genauso plötzlich wieder zerstreuen. Denn sie kennt keine Verpflichtungen, keine Disziplin, keine Verantwortung, keine Stetigkeit. Es gibt keine feste Rollenverteilung, keine Hierarchien, keine Führung – höchstens temporäre Rädelsführer. Alles ist im Fluss. Ein chaotisches, hochemotionales System, von potenziell ungeheurer Macht – vorausgesetzt, die Crowd hat ein gemeinsames Ziel. Ein Umstand, der in der zeitgenössischen Crowd keinesfalls immer gegeben ist.
Die Masse macht’s billigerAnfang des 21. Jahrhunderts erfuhr der Crowd-Begriff durch zwei Publikationen neue Popularität und eine interessante Bedeutungsverschiebung. Man fand heraus, dass die Crowd unter bestimmten Rahmenbedingungen nicht zerstörerisch ist, sondern schlau, kreativ und sogar produktiv. 2005 beschrieb James Surowiecki in The Wisdom of Crowds, wie sich stupides Gruppendenken vermeiden und „Schwarmintelligenz“ fördern lässt. Die ökonomische Dimension spielte für ihn noch keine Rolle. Ein Jahr später dann läutete Jeff Howe im Wired–Magazin eine neue Phase der Wertschöpfung ein, bei der die Crowd eine zentrale Rolle spielen würde. Seinen Artikel The Rise of Crowdsourcing eröffnete Howe mit den Worten: „Erinnern Sie sich noch an Outsourcing? Jobs nach Indien oder China zu verschicken ist so 2003. Die neue Quelle billiger Arbeitskraft: ganz normale Menschen, die mit ihrer überschüssigen Hirnleistung Inhalte produzieren, Probleme lösen und sogar Forschungs- und Entwicklungsarbeit leisten.“ Howe propagierte diesen Wandel nicht, er beschrieb ihn lediglich als erster und verpasste ihm vor allem die griffige Wortneuschöpfung aus „Crowd“ und „Outsourcing“. „Crowdsourcing“ ließ in der Folge bei vielen Unternehmern Dollarzeichen in den Augen aufblitzen und wurde erst zum Hype, dann zu einer millionenschweren Industrie. Durch die Digitalisierung hatte die prototypische Crowd offenbar nicht nur ihre Körperlichkeit, sondern auch ihre Gefährlichkeit eingebüßt und bestand nun aus fleißigen Masseneremiten – austauschbaren Clickworkern vor den heimischen Rechnern.
Während kollaborative Anwendungen des Crowdsourcing-Prinzips, bei denen die Masse ihre Kräfte für ein gemeinsames Ziel koordiniert und bündelt, hauptsächlich im Kontext gemeinnütziger, unkommerzieller Projekte wie der Wikipedia und im Crowdfunding zu finden sind, ist insbesondere das kommerzielle Crowdsourcing – die Auslagerung von Arbeit gegen Geld – geprägt von brutalem Wettbewerb zwischen den Individuen in der Crowd. Wer sich als Arbeitskraft in eine solche Crowd begibt, wird nicht stärker, sondern schwächer.
Akkordarbeit oder Kreativwettbewerb?Bezeichnenderweise eröffnete Jeff Howe die erste Beschreibung von Crowdsourcing mit einem Beispiel aus der Welt des Designs. Anhand der Entstehung von iStockphoto zeigte er, dass es durch die digitale Erschließung einer millionenstarken Crowd von Hobbyfotografen zu einem Preisverfall von 99 Prozent in der Stockfotografie gekommen war. Weitere seiner Beispiele waren die bereits 2001 gegründete Plattform InnoCentive, auf der Konzerne wie Procter & Gamble externen Ideengebern aus der Crowd relativ hohe Preisgelder für die Lösung von Forschungsproblemen zahlen, sowie die Ende 2005 gegründete Microtasking-Plattform Amazon Mechanical Turk, auf der die Crowd für die massenhafte Lösung von repetitiven Datenverarbeitungsaufgaben bezahlt wurde. Howe hatte somit die beiden zentralen Entlohnungsmechanismen des kommerziellen Crowdsourcing beschrieben: die geistige Akkordarbeit, bei der Kleinstaufgaben mit Kleinstbeträgen entlohnt werden, und den Kreativwettbewerb, bei dem nur ein Gewinner bezahlt wird, während alle anderen leer ausgehen, obwohl sie vorab die gleiche Arbeit geleistet haben. Das Crowdsourcing von Grafikdesign wird bezeichnenderweise fast immer als Wettbewerb abgewickelt und der fließbandartigen Gestaltung von Logos kommt dabei eine Schlüsselrolle zu.
„Hire 700 Designers. Pay One.“Eine der ersten und heute die größte unter vielen sehr ähnlichen Plattformen für das Crowdsourcing von Gestaltungsaufgaben ist 99designs. Anfang 2008 in Melbourne gegründet, hat die Firma in zwei Finanzierungsrunden 45 Millionen US-Dollar Risikokapital eingesammelt und ist seither stetig gewachsen. Aufgrund einer aggressiven Expansionsstrategie mit hohen Ausgaben für Firmenaufkäufe und Marketing schreibt die Plattform aber immer noch rote Zahlen.Im Herbst 2016 verzeichnete 99designs nach eigenen Angaben knapp 1,3 Millionen registrierte Designer und 360.000 Designkunden. Auf einen Kunden kämen demnach vier Designer. Allerdings sind die Angaben über die Zahl der teilnehmenden Gestalter notorisch unzuverlässig, da hier jede Karteileiche mitgezählt wird, die sich jemals bei 99designs oder einem der aufgekauften Konkurrenten registriert hat. Die Zahl der aktiven Designer ist deutlich geringer. Dennoch konkurrieren hier Hunderttausende Designer – Amateure und Profis – um die knappe Aufmerksamkeit und das noch knappere Budget der Auftraggeber. Größter Konkurrent von 99designs ist die 2008 in Sydney gegründete Plattform DesignCrowd, die angibt, über eine halbe Million registrierter Designer zu verfügen, sowie zahlreiche kleinere Plattformen wie z. B. designenlassen.de, gegründet 2008 in Nürnberg. Das Prinzip all dieser Anbieter ist das gleiche, wird aber von keiner Plattform so gut auf den Punkt gebracht wie von ZenLayout.com: „Run a Logo Design Contest. Hire 700 Designers. Pay One.“
Die Plattform gewinnt immerAuf 99designs werden inzwischen 10.000 Designwettbewerbe im Monat ausgerichtet und in jedem einzelnen dieser Contests werden etwa 100 Entwürfe eingereicht – wobei die teilnehmenden Designer häufig mehrere Ideen ins Rennen schicken. Insgesamt produziert die Crowd auf dieser einen Plattform etwa eine Million Entwürfe im Monat – das sind 34.000 am Tag oder ein neuer Entwurf alle zweieinhalb Sekunden. Insgesamt hat die Plattform seit ihrer Gründung eine halbe Million Wettbewerbe veranstaltet und dafür 125 Millionen Euro an die Crowd ausgeschüttet. Im Durchschnitt werden also 250 Euro pro Contest ausgezahlt. Geteilt durch die Zahl der Einreichungen heißt dies, dass der einzelne Entwurf einen Tauschwert von nur 2,50 Euro hat. Um in die Nähe des deutschen Mindestlohns zu kommen, müsste ein durchschnittlicher Teilnehmer folglich mehr als drei Designs pro Stunde hochladen.
Im Jahre 2015 hat 99designs mit diesem Geschäftsmodell einen Umsatz von 50 Millionen Euro erwirtschaftet. 30 Millionen davon wurden an die Crowd ausgeschüttet, 20 Millionen blieben bei der Plattform hängen. Kreative Crowdworker und Auftraggeber sehen jeweils unterschiedliche Interfaces der Plattform – wie hoch die Marge des Betreibers ist, wird so beiden Seiten vorenthalten. Man kann sich jedoch ausrechnen, dass 99designs pro Wettbewerb eine Kommission von durchschnittlich 40 Prozent einbehält. Wie im Casino gilt auch in der Plattformökonomie die goldene Regel: Die Plattform gewinnt immer. Das unternehmerische Risiko des jeweiligen Wettbewerbs wird komplett auf die arbeitende Crowd umverteilt.
Spiel mit WahrscheinlichkeitenIn den bisher hier aufgeführten Kalkulationen wurde immer von Durchschnittswerten ausgegangen und diese sind für die Beurteilung des Systems auch entscheidend. Einzelne Designer in der Crowd sind aber natürlich sehr viel erfolgreicher als das Mittelfeld. Im Gegensatz zu 99designs kann man sich auf designenlassen.de die Gewinnquoten der erfolgreichsten 100 Designer auf der Plattform anzeigen lassen. Das Feld wird angeführt von einem russischen Designer, der bereits an 5.608 Wettbewerben teilgenommen und davon 734 gewonnen hat. Seine Erfolgsquote liegt bei 13 Prozent. Ein Kontrahent aus Frankreich hat es in 3.955 Wettbewerben auf 158 Gewinne und somit auf eine Quote von nur vier Prozent gebracht. Die durchschnittliche Erfolgsquote der Top 100 auf designenlassen.de liegt bei 11 Prozent. Um die statistischen Chancen des Mittelfeldes steht es im Gegenzug also noch viel schlechter als 99 zu eins.
Motivationen in der CrowdFür die Masse ist die Teilnahme statistisch ähnlich widersinnig wie Lottospielen. Es drängt sich daher die Frage auf, warum sich dennoch so viele Designer freiwillig diesen prekären Arbeitsbedingungen aussetzen. Dabei ist zu beachten, dass die Crowd der Logodesigner nicht homogen ist, sondern sich aus Gruppen mit unterschiedlicher Motivation zusammensetzt:Da sind diejenigen, die einfach mal ihr Glück versuchen wollen, die vielleicht die Flut schlechter Entwürfe sehen, die regelmäßig in den Wettbewerben auftauchen, und sich zu Recht sagen: Das kann ich besser! Vertreter dieser Gruppe scheitern einige Male und kehren der Plattform dann enttäuscht den Rücken zu. Aber es kommen immer neue nach.Eine weitere Gruppe sind die Amateure, die aus intrinsischer Motivation heraus in ihrer Freizeit gerne Logos klicken, die Spaß daran haben, sich im Wettbewerb sportlich-spielerisch mit anderen zu messen, und für die eine Entlohnung Nebensache bzw. ein nettes Extra ist.Dann gibt es noch die Berufseinsteiger, die, anders als die Hobbyisten, eine Karriere im Design anstreben und die Arbeit in der Crowd wie ein Praktikum angehen. Sie haben ebenfalls geringe Erwartungen, bezahlt zu werden, und wollen primär Berufserfahrung sammeln, sich ein Portfolio erarbeiten, um damit später Kunden außerhalb der Plattform zu finden. In dieser Gruppe finden sich sowohl Studierende als auch Autodidakten.Und schließlich gibt es einen kleinen, harten Kern von Crowd-Design-Profis, die auf der Plattform arbeiten, um damit ihr Einkommen zu bestreiten, die deutlich besser sind als die Konkurrenz, gar nicht mal unbedingt als Gestalter, sondern darin, sich an die sehr speziellen Produktionsbedingungen anzupassen und aus der Masse hervorzustechen. Diese Gruppe hat sich sehr effiziente, fließbandtaugliche Arbeitsabläufe antrainiert, nimmt sehr gezielt nur an Wettbewerben teil, bei denen das Briefing klar ist, der Kunde zuverlässig wirkt und der Aufwand in die eigenen Routinen passt und daher gering ist. Wie bereits oben geschildert, schaffen es Vertreter dieser Gruppe deutlich häufiger zu Gewinnen als der Rest, müssen aber immer noch eine hohe Frustrationstoleranz mitbringen, weil Bezahlung auch für sie ein Glücksspiel bleibt.
Die Welt ist flachUnter diesen Bedingungen dauerhaft wirtschaftlich erfolgreich sein kann nur, wer die Produktionskosten so niedrig wie möglich hält. Ein ganz wesentlicher Faktor ist dabei die Globalisierung. Insbesondere bei allen englischsprachigen Wettbewerben kommen die erfolgreichsten und motiviertesten Crowd-Designer aus Ländern wie Indonesien, den Philippinen, Indien, Pakistan oder auch aus Südamerika. Und dann gibt es noch die sogenannten „digitalen Nomaden“ – Ausgewanderte und Weltenbummler, die vom Strand im Süden für Kunden in der alten Heimat arbeiten und folglich auch keine Sprachbarriere zu überwinden haben. Beide Gruppen haben sehr niedrige Lebenshaltungskosten und können häufig in der Region, in der sie sich aufhalten, keine bessere Arbeit finden. Für die oft gut ausgebildeten Designer aus Schwellenländern ist Crowdsourcing eine Chance, Kunden aus westlichen Industrienationen zu gewinnen. Auch die Preisgelder erscheinen aus dieser Perspektive gar nicht so niedrig. Im Umkehrschluss kann man als in Europa lebender Designer mit dieser großen Gruppe im globalen Süden definitiv nicht über den Preis und nur teilweise über die Qualität konkurrieren.
Wie gewonnen, so zerronnenEgal aus welcher Region die kreativen Crowdarbeiter kommen, sie alle hoffen darauf, nicht nur einen Wettbewerb, sondern dadurch vor allem neue Kunden zu gewinnen. Denn oft merken die Kunden erst später, dass sie mit einem Logo allein nicht weit kommen, und kehren zum Gewinner zurück, um weitere Aufträge direkt zu vergeben. Die Plattformbetreiber nähren diese Hoffnung einerseits, fürchten jedoch zugleich, als Mittelsmann künftig ausgeschlossen zu werden. Deswegen sichert sich 99designs beispielsweise in den Nutzungsbedingungen das Recht, auch an allen Folgeaufträgen mitzuverdienen. Laut Kleingedrucktem muss sämtliche künftige Kommunikation mit Kunden, die man im Wettbewerb kennengelernt hat – müssen sämtliche Folgeaufträge –, durch die Plattform hindurch abgewickelt werden, wobei dann für zwei Jahre weitere Prozente an die Plattform gehen, ohne dass diese noch eine nennenswerte Leistung erbringen würde. Der einzige Ausweg laut Nutzungsbedingungen ist die Zahlung einer „Opt-out-Gebühr“ von 2.500 US Dollar, um sich als Designer von der Plattform freizukaufen. Auch an dieser Stelle herrscht also ein krasses Missverhältnis von Chancen zu Risiken.
Klischees und PlagiateEin weiteres Problem, das sich quer durch die Logo-Plattformen zieht, ist der laxe Umgang mit geistigem Eigentum, und auch dies ist partiell eine Folge der großen Konkurrenz in der Crowd bzw. der geringen Wirtschaftlichkeit von Crowdsourcing für den Einzelnen. Hier teilt sich die Crowd auf:Da sind zum einen die Redlichen, die zu Selbstausbeutung neigen und – auch mit dem eigenen Portfolio im Hinterkopf – viel mehr Zeit in den jeweiligen Entwurf stecken als ökonomisch sinnvoll wäre. Sie beschäftigen sich wirklich mit dem Kunden und dem Briefing, um eine maßgeschneiderte Lösung zu entwerfen.Dem steht die Gruppe derer gegenüber, die versuchen, Abkürzungen zu nehmen, indem sie sich an den Ideen anderer bedienen. In der vergleichsweise harmlosen Variante entstehen so schon tausendfach gesehene Klischees, die zwar noch eigenhändig zusammengeklickt wurden, aber mit der Identität des Kunden nicht mehr viel zu tun haben. Noch problematischer ist die ebenfalls weit verbreitete und gegen das Urheberrecht verstoßende Praktik, bereits bestehende Cliparts und Vektordateien von anderen Webseiten nur minimal zu verändern, beispielsweise in der Farbgebung, und dann als eigene Entwürfe in den Wettbewerb einzureichen. Als Designer ist man dafür zwar haftbar, für die Kunden ist aber oft nicht ersichtlich, welche Entwürfe geklaut sind. Wenn dies erst spät auffliegt, etwa nachdem schon Drucksachen und Firmenschilder hergestellt wurden, kann der Schaden für den Kunden erheblich sein, während es zugleich schwierig ist, einen Designer, der am anderen Ende der Welt sitzt, dafür zur Rechenschaft zu ziehen.Und schließlich gibt es noch das Problem des Ideenklaus innerhalb eines Wettbewerbs, bei dem Individuen in der Crowd sich die Arbeit ihrer unmittelbaren Konkurrenz aneignen. Verständlicherweise versuchen sich die redlichen Crowd-Designer zu wehren, indem sie beim Kunden Meldung machen, wenn sie Plagiate von Kollegen entdecken oder sich bestohlen fühlen. Insgesamt entsteht so eine giftige, keinesfalls kollaborative Arbeitsumgebung.
WegwerfidentitätenMan muss sich wundern, wie die Plattformen angesichts dieser Risiken überhaupt so stark wachsen konnten. Die zahlreichen Amateure im Design, die globalen Einkommensunterschiede, die ökonomische Naivität mancher Berufseinsteiger und die Geiz-ist-geil-Mentalität mancher Kunden reichen als Erklärung nicht aus. Der tiefer liegende Grund ist in der oftmals schwierigen Beziehung zwischen Neukunden und Designern zu finden. Neukunden haben Angst, die Katze im Sack zu kaufen und trotz vieler Überarbeitungen am Ende mit einem Entwurf festzusitzen, mit dem sie sich nicht identifizieren können, den sie aber dennoch verwenden müssen, weil sie viel Geld dafür gezahlt haben. Designer sind wiederum frustriert, wenn sie nach immer neuen Verschlimmbesserungswünschen unsicherer Kunden am Ende nicht mehr hinter dem eigenen Entwurf stehen können. Die Plattform löst als Intermediär zumindest scheinbar diese Probleme, weil sie beide Parteien mit dem Prinzip der Crowd aus der Verantwortung entlässt. Die Kunden fühlen sich weder finanziell noch persönlich dazu verpflichtet, einen bestimmten Entwurf am Ende auch zu kaufen und zu verwenden, und die Designer können den Prozess ebenfalls jederzeit folgenlos abbrechen, wenn sie keine Lust mehr haben, sich für die Wünsche des Kunden zu verbiegen.
Crowdsourcing ist immer geprägt von einem gegenseitigen Mangel an Vertrauen und Verantwortung. Da Kunden, Designer und Logos in der Crowd per Definition austauschbar sind, spart man sich die Mühen verbindlicher Beziehungen. Das rechtfertigt auch die niedrigen Preise. Und tatsächlich gibt es Szenarien, in denen der Kunde wirklich nur eine Wegwerfidentität für ein Projekt von geringer Wichtigkeit oder kurzer Halbwertszeit braucht und keine professionelle, persönliche und strategische Konstruktion einer visuellen Identität. An der Kasse im Supermarkt kauft man schließlich auch keine feinen Ledertaschen, sondern Plastiktüten. Wer sich selbst und sein Geschäft jedoch ernst nimmt, egal ob als Gestalter oder als Gründer, sollte um die Resterampen des Designs einen großen Bogen machen.
Wenn eine visuelle Identität mehr sein soll als ein austauschbares Abziehbildchen, kommt man um eine vertrauensvolle und manchmal auch anstrengende Beziehung zwischen Kunde und Dienstleister nicht herum. Sie ist nichts, was sich einsparen ließe, sondern die Quelle von Qualität und Originalität.
Florian A. Schmidt ist Chefredakteur der agenda design und Dozent für Designtheorie. Von 2014 bis 2016 war er Vertretungsprofessor an der HTW Dresden. In seiner Promotion am Royal College of Art befasste er sich mit den Wechselwirkungen zwischen Crowdsourcing und Design. Sein neues Buch Crowd-Design: From Tools for Empowerment to Platform Capitalism erschien im Juni 2017 bei Birkhäuser.
↑ Nach oben